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Produktionsstraße Autoindustrie - Foto von Simone M. Neumann
Produktion bei VW | © Simone M. Neumann

Verkehrswende statt Stellenabbau

Wie umgehen mit einer Industrie im Wandel?

Gerhard Klas, Juli 2025

Früher Freitagnachmittag, 13. Juni. Der Internationale gewerkschaftliche Arbeitskreis Köln (IGAKK) hat übers Wochenende zum bundesweiten Netzwerktreffen eingeladen. Es beginnt mit einer Werksführung im Kölner Ford-Werk. Gekommen sind knapp dreißig Teilnehmer:innen aus Wolfsburg, Hannover und Berlin, darunter zahlreiche Automobilarbeiter:innen, Gewerkschafter:innen und auch zwei Kuratoriumsmitglieder der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt. Die Stiftung hat zurzeit viele Förderanfragen zum Thema "Automobilkrise und Verkehrswende".

Mit der elektrischen Werksbahn geht es durch mehrere Produktionshallen auf dem Gelände, das mehr als 300 Fußballfelder umfasst. Das Kölner Werk des US-Konzerns ist für zwei Milliarden Dollar modernisiert worden: Seit vergangenem Sommer laufen im "Cologne Electric Vehicle Center" keine Verbrenner mehr, sondern nur noch Elektrofahrzeuge vom Band. Während der Fahrt fällt auf: Viele der Presswerke und Roboter, die das Schweißen, Schneiden, Reinigen und Lackieren übernommen haben, stehen still. Menschen sind kaum zu sehen – außer in der Endmontage am Fließband.

Die Bänder laufen langsamer als gewöhnlich. Das hängt mit der Absatzkrise zusammen. Etwas mehr als die Hälfte der Produktionskapazität wird derzeit bei Ford nur noch ausgeschöpft. Die E-SUVs des Kölner Werks laufen schlechter als erwartet. Das Pkw-Geschäft von Ford in Europa schreibt insgesamt Verluste. Die E-Kleinwagen chinesischer Hersteller sind billiger und mehr gefragt. Die Konsequenz des Managements: Sparen durch Personalabbau. 2.900 Stellen sollen gestrichen werden. Dabei mussten in den letzten Jahren schon viele Kolleg:innen gehen: 2010 arbeiteten in Köln noch 17.000, mittlerweile sind es nur noch 11.500. Nach Warnstreiks und stockenden Verhandlungen stimmten 93,5 Prozent der Kolleg:innen am 8. Mai für einen unbefristeten Streik und legten eine Woche später die Arbeit nieder. Nach 24 Stunden brachen sie den Streik wieder ab: Das Ford-Management signalisierte Verhandlungsbereitschaft und akzeptierte ein Eckpunktepapier, das einen Sozialtarifvertrag mit fairen Abfindungen, Transfermaßnahmen und einen Insolvenzschutz fordert. Aber noch fehlt die Zustimmung zu wichtigen Punkten aus der US-Konzernzentrale. Sollte die ausbleiben, kommt möglicherweise der nächste Streik. Was fehlt, ist auch eine Zukunftsperspektive: Kaum jemand hier glaubt, dass in Köln in fünf Jahren noch Autos vom Band laufen.

Es ist ja nicht nur Ford. Bei VW und anderen Herstellern in Deutschland sieht es nicht viel besser aus. Über Jahrzehnte hat die Autobranche Hunderttausende, im Vergleich zu anderen Branchen gut bezahlte, tarifgebundene Stellen gesichert. Was kommt danach – für die Beschäftigten, für die Standorte, für ganze Regionen?

Arbeitsplatzabbau trotz Milliardenprofite

Die Zahlen sind paradox: Die großen Konzerne – Volkswagen, Mercedes-Benz, BMW – verzeichnen Milliardengewinne. Gleichzeitig aber werden Werke geschlossen, Leiharbeit ausgeweitet, Stammbelegschaften durch Werkverträge ersetzt. Zulieferer geraten unter Druck. Fusionen und Standortverlagerungen hinterlassen soziale Trümmerfelder. Die Kolleg:innen erleben eine "Transformation", die häufig nicht Modernisierung, sondern schleichende Demontage bedeutet. Es sind nicht nur die Auszubildenden in Zwickau oder die Karosseriebauer in Köln, die um ihre Zukunft bangen – es sind  ganze Städte, deren ökonomisches Rückgrat in Frage steht.

Ein wichtiger Faktor: Die sogenannte Antriebswende greift zu kurz. Sie ersetzt Benzin durch Strom, aber lässt Produktionsverhältnisse, Verkehrsaufkommen, Flächenverbrauch und soziale Ungleichheiten weitgehend unangetastet.

Was wäre, wenn die Kompetenz der Beschäftigten – vom Werkzeugmacher bis zur Ingenieurin – nicht weiter in die Sackgasse des Wettbewerbs mit China oder der Aufrüstung der Bundeswehr fließen würde, sondern in den Aufbau eines sinnvollen Mobilitätssystems oder anderer sozialer und ökologischer Produkte? Die Geschichte kennt solche Beispiele: In den 1980er-Jahren schlugen Beschäftigte von Lucas Aerospace in Großbritannien einen "alternativen Produktionsplan" vor – weg von militärischer Fertigung, hin zu zivilen Produkten wie Windrädern, Medizintechnik und Wärmepumpen. Während der Corona-Pandemie hat das Seat-Werk im spanischen Valencia – eine VW-Tochter – innerhalb kürzester Zeit die dringend benötigten Beatmungsgeräte produzieren können. In der heutigen Situation wäre es ebenso denkbar, dass Fabriken, die bisher SUV-Karosserien pressen, künftig Gehäuse für Stadtbahnwaggons, Batterien für Nachtzüge oder Komponenten für Seilbahnsysteme liefern.

Dafür braucht es allerdings politische Weichenstellungen: Anstatt die Produktion dieser Fabriken einzig und allein an Profitmaximierung und Aktionärsinteressen auszurichten, braucht es eine demokratische Mitbestimmung über das, was produziert wird. Das Grundgesetz bietet mit Artikel 14 ("Eigentum verpflichtet") und Artikel 15 ("Vergesellschaftung") dafür durchaus Handlungsräume. In einer demokratisch kontrollierten Mobilitätsindustrie könnten Beschäftigte, Kommunen und Öffentlichkeit gemeinsam entscheiden, wie Wertschöpfung nachhaltig und sinnvoll organisiert wird. Das wäre eine echte Mobilitätswende – nicht nur ökologisch, sondern auch demokratisch und sozial. Über solche Pilotprojekte hat labournet.tv in den letzten zwei Jahren berichtet, ebenso die "Aktionszeitung für eine Verkehrswende mit Zukunft". Beide werden von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt gefördert. Die Zeitung, an der sich sowohl Kolleg:innen aus der Autoindustrie als auch von Umweltgruppen beteiligen, vernetzt bisher existierende Projekte, die es zum Thema gibt.

Arbeitszeitverkürzung als Hebel

Ein Thema, mit dem Kolleg:innen in den Fabriken für eine Verkehrswende gewonnen werden könnten, ist auch die Arbeitszeit. Wenn Rationalisierung und Automatisierung nicht in Arbeitslosigkeit münden sollen, braucht es eine kollektive Antwort: neben der Frage der Produkte, die vom Band laufen, sind das auch kürzere Wochenarbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich. Der Gedanke ist nicht neu, aber aktueller denn je. Eine 4-Tage-Woche könnte Beschäftigung sichern, Überlastung abbauen und Raum schaffen für Weiterbildung und gesellschaftliche Teilhabe.

Mit der Verabschiedung des "Sondervermögens" für Aufrüstung Anfang des Jahres wurden neue Begehrlichkeiten geweckt und ist ein weiteres Konfliktfeld hinzugekommen. Der Einstieg von Volkswagen in die militärische Fertigung betrachten die Verkehrswendeinitiativen als falsches Signal: Statt Panzer für Krisenregionen braucht es Busse und Bahnen für die Fläche und den ÖPNV.

In der Umweltbewegung findet die Verkehrswende viel Anklang. In den Betrieben sind es bis jetzt nur wenige Kolleg:innen, gewerkschaftliche Vertrauensleute und Betriebsräte, die sich dafür einsetzen. Für viele der Beschäftigten steht derzeit weniger die "Mobilität der Zukunft" im Fokus, sondern ihre Jobs in der Gegenwart. Doch genau das macht eine ernst gemeinte Verkehrswende so dringend. Sie muss das Wissen und Können der Belegschaften bewahren und zugleich eine neue Richtung einschlagen. Weg von der Fixierung auf Privatfahrzeuge – hin zu kollektiven Lösungen, die Teilhabe, Klimaschutz und Beschäftigung zusammenbringen.

Ökonomisch und technisch wäre eine Verkehrswende kein Zauberwerk. Es fehlt der politische Wille.

Ihre Umsetzung verlangt Investitionen in Bus und Bahn, in regionale Industrien, in eine Konversion der Fahrzeugproduktion. Und sie verlangt, dass nicht länger Vorstände und Aktionärsversammlungen allein entscheiden, wo und wie produziert wird. Die Beschäftigten müssen zu Trägern einer neuen industriellen Logik werden – gestützt durch Gewerkschaften, Kommunen und eine mutige Politik.

Der alte Slogan "Mobilität für alle" bekommt so eine neue Bedeutung. Nicht nur im Sinne von individueller Bewegung, sondern als gesellschaftliches Versprechen: Niemand wird abgehängt – weder auf dem Land, noch im Werk, noch im Veränderungsprozess.

Zurück zur Werkstour bei Ford: Zwei Wochen würde es dauern, eine Produktionsstraße auf ein neues Automodell umzustellen, erklärt ein Kollege. Theoretisch, ergänzt er, könnten so auch andere Produkte hergestellt werden. Fazit: Ökonomisch und technisch wäre eine Verkehrswende also kein Zauberwerk. Es fehlt der politische Wille.

Damit sich das ändert, wird die Stiftung weiter Projekte fördern, die die Verkehrswende vorantreiben. Und weil der Ansatz auch eine internationale Dimension hat, fördert sie aktuell eine Untersuchung des Forums Arbeitswelten zu den "Arbeitsbedingungen und Arbeitskämpfen in der chinesischen Automobilindustrie", in der mehr als fünf Millionen Menschen arbeiten. Außerdem ist für dieses Jahr noch eine Begegnungsreise zu den Protesten gegen den Lithiumabbau in Serbien geplant – ein Metall, dessen Nachfrage durch die Batterieproduktion für E-Autos enorm zugenommen hat. Über die Ergebnisse dieser beiden Projekte wird dieser Blog zu gegebener Zeit berichten.

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